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Ärztlicher Blick: Unterschied zwischen den Versionen

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Der '''„Ärztlicher Blick“''' (vgl. M. Foucault, ''Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks'', Frankfurt am Main 1988) ist ganz wesentlich für das Verständnis der (psychischen) Erkrankungen.
 
Der '''„Ärztlicher Blick“''' (vgl. M. Foucault, ''Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks'', Frankfurt am Main 1988) ist ganz wesentlich für das Verständnis der (psychischen) Erkrankungen.
  
Die Medizin erzielte immense Fortschritte als das Tabu, den toten menschlichen Körper aufzuschneiden und zu untersuchen, fiel. Folge davon ist, dass der Mensch auch heute noch in der Medizin in erster Linie als toter Körper betrachtet wird. Zwar genießen "Dinge" wie der menschliche Leib innerhalb der Wissenschaften einen marginalisierten Status (in der Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten). Insofern ist die Medizin eine randständige Disziplin. Aber durch den Versuch der Vernaturwissenschaftlichung (Positivierung) der Medizin geraten nicht oder kaum verobjektivierbare Phänomene wie die Psyche vermehrt aus dem Blick oder genießen einen Zugang, der der Sache nicht gerecht wird. So ist z. B. die Psyche nur lebendig interessant; eine Psyche, die sich durch das körperliche Geschehen ableitet, ist meist eine Reduktion ihrer Qualität auf Aspekte, die mit ihr nichts oder wenig zu tun haben.
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Die Medizin erzielte immense Fortschritte als das Tabu, den toten menschlichen Körper aufzuschneiden und zu untersuchen, fiel. Folge davon ist, dass der Mensch auch heute noch in der Medizin in erster Linie als toter Körper betrachtet wird. Zwar genießen "Dinge" wie der menschliche Leib innerhalb der Wissenschaften einen marginalisierten Status (durch die Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten (John Locke)). Insofern ist die Medizin eine randständige Disziplin. Aber durch den Versuch der Vernaturwissenschaftlichung (Positivierung) der Medizin bis in die Gegenwart geraten nicht oder kaum verobjektivierbare Phänomene wie die Psyche vermehrt aus dem Blick oder genießen einen Zugang, der der Sache nicht gerecht wird. So ist z. B. die Psyche nur lebendig interessant; eine Psyche, die sich allein durch das körperliche Geschehen ableitet, ist eine Reduktion ihrer Qualität auf Aspekte, die über Ursache und Wirkung in der Erfahrungswelt der Erkrankten nichts aussagen. Genau in dieser Erfahrungswelt sind die Ursachen zu suchen, so wie sich die Wirkungen auch in der Psyche des Einzelnen zeigen und das (psychische) Erleben ausmachen.
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Freud war nach H. Keupp, ... ein erster Versuch, dem psychischen Geschehen (so die Ursachen nicht organischer Natur sind) auf diese Art gerecht zu werden, auch wenn die Psychoanalyse bei ihrem Versuch auf der Hälfte des Weges stecken blieb. (Es lässt sich die Behauptung aufstellen, dass die sog. Antipsychiatrie der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ein erneuter Versuch war, den Versuch von Freud forzuführen.)
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Die Insistenz, ihren naturwissenschaftlichen Zugang fortzuführen, leitet die Medizin aus der Zeit ab, als die Syphilis erfolgreich bekämpft werden konnte. Dass es sich dabei offensichtlich um einen Anchronismus handelt, scheint die Medizin selbst nicht zu bemerken/bemerken zu können.

Aktuelle Version vom 15. November 2021, 17:22 Uhr

Der „Ärztlicher Blick“ (vgl. M. Foucault, Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Frankfurt am Main 1988) ist ganz wesentlich für das Verständnis der (psychischen) Erkrankungen.

Die Medizin erzielte immense Fortschritte als das Tabu, den toten menschlichen Körper aufzuschneiden und zu untersuchen, fiel. Folge davon ist, dass der Mensch auch heute noch in der Medizin in erster Linie als toter Körper betrachtet wird. Zwar genießen "Dinge" wie der menschliche Leib innerhalb der Wissenschaften einen marginalisierten Status (durch die Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten (John Locke)). Insofern ist die Medizin eine randständige Disziplin. Aber durch den Versuch der Vernaturwissenschaftlichung (Positivierung) der Medizin bis in die Gegenwart geraten nicht oder kaum verobjektivierbare Phänomene wie die Psyche vermehrt aus dem Blick oder genießen einen Zugang, der der Sache nicht gerecht wird. So ist z. B. die Psyche nur lebendig interessant; eine Psyche, die sich allein durch das körperliche Geschehen ableitet, ist eine Reduktion ihrer Qualität auf Aspekte, die über Ursache und Wirkung in der Erfahrungswelt der Erkrankten nichts aussagen. Genau in dieser Erfahrungswelt sind die Ursachen zu suchen, so wie sich die Wirkungen auch in der Psyche des Einzelnen zeigen und das (psychische) Erleben ausmachen.

Freud war nach H. Keupp, ... ein erster Versuch, dem psychischen Geschehen (so die Ursachen nicht organischer Natur sind) auf diese Art gerecht zu werden, auch wenn die Psychoanalyse bei ihrem Versuch auf der Hälfte des Weges stecken blieb. (Es lässt sich die Behauptung aufstellen, dass die sog. Antipsychiatrie der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ein erneuter Versuch war, den Versuch von Freud forzuführen.)

Die Insistenz, ihren naturwissenschaftlichen Zugang fortzuführen, leitet die Medizin aus der Zeit ab, als die Syphilis erfolgreich bekämpft werden konnte. Dass es sich dabei offensichtlich um einen Anchronismus handelt, scheint die Medizin selbst nicht zu bemerken/bemerken zu können.